Autonomie... Wovon sprichst du?

Wir leben in einer Welt, die uns nach und nach jeglicher Möglichkeit ausserhalb ihres Bereiches zu leben, ja sogar zu überleben, beraubt hat. In den letzten 150 Jahre verbreitete sich die Herrschaft und der industrielle Kapitalismus über den ganzen Planete und sogar darüber hinaus. Angesichts der immer umfassenderen Enteignung anderer Möglichkeiten zu Leben, entwickelte sich eine Strömung, die im allgemeinen die Wiederaneignung als Kampfperspektive in den Vordergrund stellt. Diese wird auf verschiedenen Ebenen angewendet, so zum Beispiel die Wiederaneignung von savoir-faire, den praktischen Kenntnissen von früher, von Räumen und von gegenseitiger Hilfe in einem Kontext von Kollektivität. Die Theorie der Wiederaneignung ist zweifelsohne auf kontinuierliche Entwicklung und nicht auf einen radikalen Bruch ausgerichtet, in dem Sinne, dass die Wiederaneignungen von heute als Keime einer zukünftigen Gesellschaft betrachtet werden. Allgemein betrachtet bleibt die Wiederaneignung also im Bereich des Quantitativen, das heisst, der progressiven Ausbreitung der Selbstverwaltung bis zu ihrer totalen Generalisierung. Ihre Verfechter sind der Meinung, dass es noch immer physische und mentale Lücken im Netz der Herrschaft gibt - ob durch einen ‘Kampf’ erlangt oder nicht -, in denen man mehr oder weniger frei mit der Konstruktion von anderen sozialen Verhältnissen experimentieren kann. So zeichnet sich eine Strömung ab, die sich um Konzepte wie Wiederaneignung, Selbstverwaltung und Autonomie gegenüber der Welt, in der wir leben, versammelt.

Die historische Entwicklung des Kapitalismus und der Herrschaft im Allgemeinen hat Stück für Stück alle existierenden Formen oder Möglichkeiten von Autonomie, Unabhängigkeit und Autarkie beseitigt. Man kann nicht länger von einem Ausserhalb des Kapitals sprechen, von einem Ausserhalb der bestehenden sozialen Verhältnisse, von einem Ort, der von dem Schmutz dieser Welt noch unberührt sein soll. Auf physischer Ebene wurde die ganze Umwelt nach den Bedürfnissen der kapitalistischen Ökonomie vergiftet und umgestaltet. Wie sollte man sich ein Anderswo vorstellen, während die Samen genetisch manipulierter Organismen fortan überall sind und die radioaktiven Strahlungen niemanden verschonen? Und selbst wenn dies möglich wäre, wie könnte man dann im Glauben an befreite Beziehungen die Existenz der Gefängnisse, Lager, Fabriken und Institutionen dieser Welt ignorieren? Die Freiheit für die wir kämpfen, ist die immer umfangreichere Möglichkeit, uns selbst zu verwirklichen, uns als Individuen zu verfestigen. Dieses zügellose Verlangen, dieses masslose Streben lässt sich weder in einer Kommune von einigen dutzend ‘befreiter’ Quadratmeter einschliessen, noch sich mit zwei, drei Beziehungen zufriedenstellen, die etwas weniger beschissen und autoritär sind.

Die Herrschaft und der Kapitalismus sind zunächst einmal eine Gesamtheit von sozialen Verhältnissen, besser gesagt: sie sind das soziale Verhältnis. Also nicht etwas, das angeblich von aussen auferlegt wird. Und wenn es noch Leute gibt, die denken, dass ein Aufstand oder eine Revolution möglich ist, dann folgt dies aus der Umkehrung der Überlegung, dass es auch dank unserer Einwilligung, dank unserer Resignation ist, dass die Maschine am Laufen bleibt. Das System besteht nicht bloss aus korrumpierten Meistern, die uns mit ihren Schlagstöcken zu Boden halten, sondern auch, und vielleicht sogar vorallem, aus einem sozialen Mechanismus, an dem wir alle teilhaben. In diesem Sinne sind die so oft gepriesenen praktischen Kenntnisse von ‘vor der Verwüstung durch das Kapital’ genauso zu tiefst mit den bestehenden sozialen Verhältnissen verwoben. Nehmen wir zum Beispiel die Agrarökonomie: Zweifellos war das Verhältnis zur Erde etwa anderes, als das, was uns die grossen Bio-Industrien heute auferlegen. Doch diese Agrarökonomie von ‘vor der Kolonisierung durch das Kapital’ beruhte nicht nur auf einem anderen Verhältnis zur Erde. Tatsache ist auch, dass dieselben Bauern ihre Kinder auf den Feldern ausbeuten konnten. Ebenso steht fest, dass die soziale Kontrolle in den ländlichen Dörfern so stark war, dass die Verfestigung des Individuums unmittelbar auf die Autorität der Alten, des Priesters, der Sitte und des Patriarchats stiess. Anstatt die alten Formen von Gemeinschaft auf eine mystifizierende Weise neben jene des Kapitals von heute zu stellen, würden wir besser daran tun, über die schreckliche Kontinuität autoritärer Verhältnisse zu sprechen (die sich bestimmt in Form, jedoch nicht im Inhalt verändert haben), und vorallem über die Kontinuität der Subversion, der Widerstände. Denn selbst in diesen Dörfern von einstmals ertrugen einige den alltäglichen Trott nicht, widersetzten sich der Ausbeutung und der Unterdrückung und mussten kämpfen, um nicht von der Gemeinschaftsmaschinerie zermalmt zu werden. Die Form, die die Unterdrückung früher annahm, abstrahieren, all diejenigen, die kämpften vergessen und so den Weg für eine glückselige Verherrlichung ‘ländlicher Gemeinschaften’, ‘anderer Lebens-Formen’ öffnen, scheint uns zumindest als ein sehr zu bezweifelnder Weg, um die heutige Autorität zu bekämpfen.

Im Laufe der Geschichte glaubten viele, dass es möglich ist, andere soziale Verhältnisse aufzubauen indem man sich etwas absondert. Bestimmt war es auch einfacher, daran zu glauben, früher, als es noch uneinnehmbare Berge und gigantische Wälder gab; als es genügte, die natürlichen Schranken zu überqueren, um zu desertieren – heute muss man zufrieden sein mit einem verrotteten Gebäude irgendwo in der einen oder anderen Grossstadt, einem Bauernhof neben einem Kernkraftwerk, einem Tal, das von Hochgeschwindigkeitszügen durchquert wird oder mit einem von Wald umgebenen Flecken, wo einem genauso ein Satellit über dem Kopf schwebt.

Die Ausbreitung des Kapitals hat jegliches Aussen, jegliche Aussengrenze unmöglich gemacht. Und zwar nicht nur auf materieller Ebene, sondern mehr und mehr auch in den Köpfen und in den Herzen. Das Kapital ist gut darin, die Freiheit als den Besitz von Waren zu verkaufen, Solidarität als Denunziation und Brüderlichkeit als Krieg. Das grundlegendste Problem liegt folglich nicht in den verlorenen Formen, sondern in den verlorenen Inhalten; in dem immer kleineren Spielraum der noch bleibt, um zu träumen, um sich von möglichen anderen sozialen Verhältnissen ein Bild zu machen. Hierin liegt die wirkliche Enteignung.

Es gibt also kein Aussen mehr, es gibt keinen materiellen oder mentalen Ort mehr, wo man den heissen Atem der Herrschaft nicht in seinem Nacken verspührt. Wenn sich auch darüber diskutieren lässt, in welchem Masse die Strategie der Desertation fähig war, revolutionäre Perspektiven zu öffnen (z.B. machte der Grossteil der Projekte eines anderen Lebens oft nicht viel anderes, als in ihrer Mitte die Mechanismen der ‘Aussen-Welt’ zu reproduzieren), so macht eine Analyse der heutigen Herrschaft deutlich, dass es unmöglich ist, sich zurückzuziehen, wegzugehen, um sich abzusondern. Die Herausforderung, die sich uns stellt, ist daher nicht, andere soziale Verhältnisse aufzubauen, sondern die bestehenden sozialen Verhältnisse umzustürzen, zu untergraben. Diese Subversion beschränkt sich gewiss nicht auf die ‘grossen’ Momente des sozialen Kampfes, sondern ist im Gegenteil so permanent und alltäglich wie das Leben selbst. Ein Teil der Kritik von Verfechtern eines “hier und jetzt anders leben” richtet sich gegen Ideologien, die die Revolution predigen und währenddessen die alltägliche Reproduktion der Autorität damit rechtfertigen, dass sie auf günstige Umstände warten müssen. Diese Kritik ist völlig berechtigt und wir können sie nur teilen. Die Subversion besteht gewiss weder aus X Stunden Militanz pro Tag, noch aus Anwesenheitspolitik während grossen sozialen Kämpfen, um die historische Bewegung des Proletariats einzuschätzen. Sie ist, um es noch einmal zu sagen, alltäglich.

Kein Aussen konstruieren zu wollen, weil wir schlicht der Meinung sind, dass dieses Aussen, dieses ‘Andere’ nirgends als in der Subversion existieren kann, bedeutet keineswegs die Reproduktion von Autorität unter uns gutzuheissen. Im Übrigen, zu leugnen, dass auch wir die Laster unserer Erziehung, autoritäre Mechanismen, etc. in uns tragen, wird äusserstenfalls zu einer religiösen Behauptung. Das Individuum von dem wir so oft sprechen, ist nicht das abstrakte Individuum ausserhalb seines sozialen Kontexts: Es ist das Individuum im Jetzt aus Fleisch und Blut und sein Verlangen, sich immer mehr zu verfestigen und zu verwirklichen. Nicht das losgelöste Individuum, sondern das Individuum, so wie es ist, nehmen wir als Ausgangspunkt für den Angriff auf diese Welt. In unseren Revolten werden wir alle von Widersprüchen durchdrungen aufgrund der Tatsache, dass wir im Innern einer Gesellschaft leben, die wir umstürzen wollen. Diese Widersprüche, diese so alltäglichen Kompromisse abzustreiten, weil wir in ‘anderen Verhältnissen’ leben wollen oder weil wir so sehr ‘Individuum’ sind, bedeutet, erneut einer Ideologie die Hand zu reichen. Es bleibt einzig die Revolte in all ihren Formen, in deren Schoss die ersehnten neuen Beziehungen geboren werden können. Denn die potentiell freien Formen verlieren ihre Bedeutung, wenn sie ihres Inhaltes, ihrer wirklichen revolutionären Tragweite beraubt sind.

Diese Gesellschaft basiert unter anderem auf Geld und daher braucht man auch Geld, um in ihr zu überleben. Das Geld existiert nur, weil die Gesellschaft es benötigt, um die Beziehungen unter ihren ‘Mitgliedern’ zu regeln. Der Glaube, dass es hier und jetzt möglich sei, Produkte und Dienste der Warenzirkulation zu entziehen, erweist sich als Illusion. Die Begrenztheit solcher Experimente ist ganz einfach: es gibt immer irgendjemanden, irgend einen Teil, der bezahlt oder bereits bezahlt hat – mit Zeit, mit Geld, mit Arbeit. Ein anderer Vorschlag wäre, ohne Geld zu leben – wenigstens wir –, als Vagabunden. Eine Möglichkeit, die jedoch nicht von sich behaupten kann, ausserhalb des Kapitals und seiner Beziehungen zu stehen. Genausowenig ist der Diebstahl eine Lösung, um sich der Reproduktion der Warenzirkulation zu entziehen und zwar schlicht, weil die Konsumption ebenso Teil davon ist. Und abgesehen davon bleiben diese beiden Vorschläge (die Kostenlosigkeit, das Vagabundentum) stark beschränkt. Revolutionäre Vorschläge müssen notwendigerweise nach dem Universellenstreben, müssen Vorschläge sein, die alleeinladen. Alle können Methoden finden, um ihre Revolte auszudrücken, wie minimal diese auch sein mag, denn es geht primär nicht darum, wiesie sich ausdrücken, sondern welcher Inhaltdamit einhergeht. Des weiteren stellt der Weg des Vagabundentums die Gesellschaft nicht zwangsweise in Frage. Was die Kostenlosigkeit angeht, könnte man behaupten, dass es sich dabei um einen Ersatzfür die Vernichtung des Kapitals handelt. Sie reproduziert dasselbe Schema, dasselbe Placebo, dieselben kadaverhaften Ideologien, die das Warten auf den Grossen Abend predigen.

Im Grunde ist die Strategie der Wiederaneignung von savoir-faire, von praktischen Kenntnissen, selbst ein Produkt der generalisierten Entfremdung, die die Form vom Inhalt trennt. Wenn das savoir-faire ein Resultat von gewissen sozialen Beziehungen ist, dann sollten wir uns auf die Transformation dieser sozialen Beziehung ausrichten. Praktisches Wissen an sich hat keinen Wert. Lernen zu kämpfen oder mit einem Revolver umzugehen bedeutet an sich nichts. Auf diesem Planeten gibt es viele, die zuschlagen können – und was tun sie damit? Es ist einzig die Perspektive, die dahinter steckt, die eine Sache interessant macht oder nicht. Das wieso ist nicht vom wie zu trennen.

So oder so, die früheren sozialen Beziehungen wieder aufleben zu lassen ist schlichtwegs unmöglich. Die Zerstörung durch das Kapital ist unumkehrbar. So kann die radioaktive Strahlung nicht einfach abgeschafft oder vernichtet werden. Doch ist dies nun ein Grund, um in Tränen auszubrechen und Diskurse, nach welchen nichts mehr möglich ist, zu lancieren, so wie es uns gewisse Akrobaten der kritischen Theorie mit ihren endlosen Bücherreihen weismachen wollen? Nein, diese Feststellung verpflichtet uns bloss, mit beiden Beinen in der Realität von hier und jetzt zu stehen, um etwas neues in Gedanken zu fassen, ausgehend von der Situation, in der wir uns befinden. Das ist übrigens noch nie anders gewesen. Die Revolutionären haben im Grunde nie nach der Bewahrung von etwas verlangt, sondern, im Gegenteil, nach dem Öffnen einer Möglichkeit für etwas ganz anderes. Entgegen einer ganzen Tradition von Architekten und Programmen für eine ‘neue Welt’ scheint es zutreffender zu betonen, dass es unmöglich ist, im Schatten des Staates, der Kirche und des Kapitals bereits zu wissen, was für einen Geschmack die Freiheit haben könnte. Die einzige, bereits jetzt zu kostende Freiheit ist in der Revolte gegen das Existierende zu finden, in dem Negativen, das sich ans Werk setzt, stets ohne aus den Augen zu verlieren, dass es darum geht, die Möglichkeit zu öffnen, wieder vom Positiven, von der Konstruktion von etwas Neuem zu sprechen. Wie einige alte Revolutionäre sagten: die neue Gesellschaft wird auf den Ruinen der alten Welt gebaut werden.

Die Verfechter der Wiederaneignung von savoir-faire verfallen oft – und das ist kein Zufall – in eine unkritische Verherrlichung der ‘Vorfahren‘, der ‘traditionellen Formen‘,… In einem gewissen Masse verteidigen sie effektiv die Rückkehr in frühere Verhältnisse. Doch der Verlauf der Geschichte lässt sich nicht umdrehen. Die Verherrlichung der Vergangenheit, um gegen das Gegenwärtige anzugehen, ist die Negation jeglicher revolutionärer Perspektive, und zwar in dem Sinne, dass sie jegliches Vertrauen in die Möglichkeit von etwas ganz anderem verloren hat und sich an einem an den Haaren herbeigezogenen Vergangenheitsbild festhält. Die Tradition, die Bauerngemeinschaft, die Ländlichkeit, die Arbeiterquartiere,… war all das wirklich so frei und unabhängig? Im besten Falle könnte man vielleicht sagen, dass es ausgehend von diesen Situationen mehr Möglichkeiten gab, um zu revoltieren. Doch eine isolierte Form der Vergangenheit in den Vordergrund zu schieben und jegliche damit verbundene Unterdrückung zu vergessen, ist schlicht eine andere Form von Geschichtsverfälschung und Mystifizierung – eine alte Gewohnheit, nach der es nicht wenigen Subversiven verlangte, um der Gegenwart nicht in die Augen schauen zu müssen…

Historisch gesehen gab es schon immer einen Unterschied, was Perspektiven und Praktiken anbelangt, zwischen jenen, die an die Möglichkeit glauben, bereits hier und jetzt zu einer sicheren Form von Selbstverwaltung zu gelangen, zumindest was einen Teil der Realität betrifft (z.B. jener, der Nahrungsmittelproduktion), und jenen, die darauf beharren, dass die Selbstverwaltung hier und jetzt nichts anderes sein kann, als die Selbstverwaltung des Kampfes. Zweifellos ermöglicht ein breites Netz von Arbeiterkooperativen, das Brot zu einem tieferen Preis zu verkaufen, doch das stellt keinen endgültigen Schritt zur Vernichtung der Warenzirkulation dar. Und noch weniger zur Vernichtung der Arbeit als getrennte und entfremdete Aktivität. Warum? Weil es nicht möglich ist, der Realität des Kapitals auch nur einen Teil zu entwenden. Seine Logik, sein Geld, seine Mechanismen dringen überall hinein, und es ist selbst den liebenswertesten Selbstversorger-Experimenten der Vergangenheit (unvergleichbar, was Qualität und Auswirkung betrifft, mit dem, was uns heute unter demselben Wort präsentiert wird) nicht gelungen, sich dem zu entziehen. Denselben Gedankengang noch etwas vertiefend könnte man sagen, dass selbst die “generalisierte Selbstverwaltung”, als das radikalste Ziel der alten Arbeiterbewegung, mit der Vernichtung der Arbeit nicht viel am Hut hatte. Hierin beruht der ganze Unterschied zwischen Selbstverwaltung, Wiederaneignung (von savoir-faire, von bestehenden Produktionsmitteln, etc.) und der Subversion von allem Bestehenden.

Um alle Missverständnisse aus dem Weg zu räumen: In all dem Vorhergehenden liegt nicht die geringste Absicht, irgend einem Verlangen, besser leben zu wollen und sich dazu die Mittel zu verschaffen, zu entsagen. Bestimmt, die Karotten aus dem Garten schmecken besser (im wörtlichen und im übertragenen Sinne) als jene aus dem Supermarkt; bestimmt bevorzugen es einige, noch ein bisschen durch ‘die Natur’ zu spazieren, anstatt die riesigen Metropolen mit der U-bahn zu durchqueren. Doch dann reden wir von etwas ganz anderem. Dann reden wir von individuellen Entscheidungen, die wir alle in unseren Leben machen, nach den Möglichkeiten, die diese Gesellschaft uns noch lässt, um etwas besser zu überleben. Doch es geht nicht darum zu kämpfen, um besser zu überleben, sondern um zu leben, und dies ist nur möglich durch die unweigerliche Zerstörung von all dem, was verdorben ist in dieser Welt. Diese Schlacht ist nicht für Morgen, sondern alltäglich. Und nur dort trägt mein Leben bereits die Saat jener Zukunft in sich, für die ich kämpfe.

« Alles wird verschwinden… doch der Wind wird uns tragen. »

Zitat:

Am Ende der Remarques sur l’agriculture génétiquement modifiée et la dégradation des espèces[Anmerkungen über die genetisch modifizierte Landwirtschaft und den Verfall der Sorten, Text der Encyclopédie des Nuisances, 1999] wird gesagt, dass, um der « geschlossenen Weltdes industriellen Lebens » zu entkommen, nichts anders mehr bleibt, als « mit der Kultivierung seines Gartens zu beginnen ». Wenn man vom stereotypen Gespött der Unter-Marxisten und der Esel, die unter allem « die Rückkehr zur tierischen Zugkraft » zu befürchten scheinen absieht, ist diese Formel im Allgemeinen für eine etwas billige Verdrehung verwendet worden, eine ergriffene Notlösung durch die mangelnde Fähigkeit, ein ambitionierteres Programm auszuarbeiten. Wenn man es von nahem und ohne « radikale » Scheuklappen betrachtet, war es jedoch eines der ambitioniertesten Programme, das im literarischen sowie im übertragenen Sinn aufgefasst werden muss; und ja, mit dem « Garten von Epikur » im Hinterkopf. Doch wenn man, um zu beginnen, die Bedeutung Gemüsedes Wortes Garten erwähnen sollte (da ja, wie eben Epikur sagte, « der Ursprung und der Grund von allem Guten die Freude des Bauches ist; selbst die Weisheit und die Kultur sind an sie gebunden »), werde ich daraus schliessen, dass eine gute Gartenbauanleitung, abgestimmt auf alle kritischen Erwägungen, die die Ausübung dieser Tätigkeit heutzutage hervorruft (denn auch dort ist es viel zu spät), zweifelsohne nützlicher sein wird, um die kommenden Katastrophen zu überstehen, als die theoretischen Schriften, die, als ob wir ganz im Trockenen stehen, darauf beharren, unerschütterlich über das Warum und Wie des Untergangs der industriellen Gesellschaft zu spekulieren.

Jaime Semprun, Le fantôme de la théorie, 2003

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